Kinderbetreuung am 22.4.18

Leitung

Gespenster oder Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken

Nach Henrik Ibsen / Daniel Paul Schreber

Der Vergangenheit soll ein Denkmal errichtet werden. Doch das Erbe der Väter erscheint vielmehr in den Leibern der Söhne — sie werden zu den Wiedergängern ihrer Geschichten.

Ein nicht enden wollender Regen verschleiert düster den Landsitz der Familie Alving, als Osvald, der Sohn des Hauses, schlaftrunken aus Paris heimkehrt. Anlass seiner Rückkehr ist die Einweihung eines Kinderasyls zu Ehren seines verstorbenen Vaters. Mit dieser Stätte soll die Erinnerung weggerückt werden und Osvald nie erfahren, welch einen Abgrund die Ehe seiner Eltern barg. Als sich die Geschichte aber zu wiederholen droht und Osvald mit dem Stubenmädchen, das ihm näher steht, als er zu glauben vermag, anbandelt, beschließt seine Mutter, dies zu verhindern. Doch die Vergangenheit scheint bereits zu deren unwiderruflicher Zukunft geworden zu sein: Osvald wurde attestiert, dass seit seiner Geburt etwas Wurmstichiges in ihm hause. Er wird eingeholt von der Krankheit des Vaters, aber vielmehr noch von den Geistern der Vergangenheit. Eine Hinterlassenschaft, derer man sich nicht entledigen kann.

Dieser fiktiven Familiengeschichte steht die reale der Leipziger Familie Schreber gegenüber. Auch Daniel Paul Schreber, Sohn des berühmten Pädagogen und Arztes Moritz Schreber, scheint die Vergangenheit befallen und eingenommen zu haben. Sein Geist wird zersetzt von einer überbordenden Macht, von Zellen, Stimmen und Visionen. Halluzinationen hält er für übersinnliche Wunder, nicht für die Ausgeburt seiner Phantasie. Festgehalten hat er seine jahrzehntelange Erkrankung, die Klinikaufenthalte sowie detailreiche Beschreibungen seiner Wahnbilder in den „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“.

Und auch sein Vater hinterließ etwas in ihm. Mit den Grundlagen zur Kallipädie, der Erziehung zum schönen und aufrechten Menschen, schuf er eine gelebte Vergangenheit für seinen Sohn. Das erfahrene Maß an Disziplin und körperlicher Ertüchtigung sowie die Anwendung mechanischer Vorrichtungen scheinen sich im Körper seines Sohnes eingenistet zu haben — ein unbändiges Wesen, das ihn immer wieder anfällt und schließlich überwältigt.

Es sind die Geister der Vergangenheit, die sich immer wieder der Körper bemächtigen, sie heimsuchen und schließlich nicht mehr loszulassen scheinen. Sie hausen im eigenen Innen, sie sind in uns. Zum Leben erweckt, sprechen sie durch uns hindurch. Die Vergehen der Vergangenheit, einmal in die Welt gesetzt, lassen sich nicht mehr ausräumen — sie kehren wieder.

Seit der Spielzeit 2015/16 ist Philipp Preuss Hausregisseur am Schauspiel Leipzig. Nach den Erfolgen von „Der Reigen oder Vivre sa vie“ und „Wolokolamsker Chaussee I–V“ sowie „Ein Sommernachtstraum“ und „Peer Gynt“ ist diese Stoffkombination seine dritte Inszenierung auf der Großen Bühne. Nach seinem Studium am Mozarteum Salzburg arbeitet er seit 2001 als freier Regisseur und bildender Künstler, u. a. am Schloss­theater Moers, Schauspiel Dortmund, Schauspiel Frankfurt, Theater an der Ruhr Mülheim, am Volkstheater Wien und an der Schaubühne Berlin.

Premiere: 31. März 2018
Theaterpädagogische Betreuung: Jule Eicke