© Katharina Merten

geister sind auch nur menschen (DE)

Deutsche Erstaufführung

Katja Brunner

„Sie sind angealtert, sie sind angekrankt von der Zeit, sie können sich kaum wehren, sie sind in die Gebrechlichkeit und ins Alter hineingefallen wie eine Wespe in einen Honigtopf.“

In den Heimen finden sie ihre letzte Heimat. Die Alten. Tatkräftig waren sie einst, bürgerliche Leben führten sie, und jetzt sind sie dort angekommen, wo nur noch ihr Körper ihnen vorgibt, wer sie zu sein haben. „Los geht ein SPRECHEN OHNE ZUKUNFT — Zukunft, diese kompromittierende Sau — daher freier als manch anderes Sprechen.“ Dieses Sprechen nimmt nicht Platz vor der Bettkante, sondern wühlt sich hinein in die mit Schläuchen und Kathetern verzierten Bettstätten der zum Liegen Verdammten. Von Berührungen durch Pflegerhand zugefügte Hämatome werden im allseitigen Einvernehmen als „Zeichen der Zuneigung“ befunden. Kein Blatt mehr nehmen die Alten vor die ausgetrockneten Münder. Schwall um Schwall bricht es ungehört aus ihnen heraus. Und sie stehen verwundert vor den Scherben ihres Lebens, Erlebtes steht neben unwiederbringlich Verpasstem, Träume mutieren zu Albträumen. Sie verlieren sich unberührt in der Einsamkeit und werden inwendig aufgezehrt.

Die Autorin Katja Brunner spricht durch die, die nicht mehr sprechen können. Sie holt die Todgeweihten, die in der alltäglichen Betriebsamkeit unserer Welt nicht mehr funktionieren, zurück in die Sichtbarkeit. Nett wird es nicht, ihnen zuzuhören. Es verletzt und ist hart und erbarmungslos. Es ist keine Hilflosigkeit, die sich Gehör verschafft, sondern sie dringen mit ihren Stimmen unangenehm in unser Fühlen ein und lassen uns nicht mehr los. Ein unerbittliches Zerren an unserem Innersten beginnt.

Katja Brunner, geboren 1991 in Zürich, studierte Literarisches Schreiben an der Hochschule der Künste Bern und Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin. 2010 entstand innerhalb des Dramenprozessors ihr Stück „von den beinen zu kurz“ (uraufgeführt am Theater Winkelwiese in Zürich), mit dem sie 2013 den Mülheimer Dramatikerpreis gewann und im selben Jahr in der Kritikerumfrage von Theater heute zur besten Nachwuchsautorin gewählt wurde. 2012 nahm sie an den Werkstatttagen des Burgtheaters teil und 2013 war sie mit ihrem Stück „die hölle ist auch nur eine sauna“ zum Heidelberger Stückemarkt eingeladen. In der Spielzeit 2014/15 war Katja Brunner Hausautorin am Theater Luzern und im Sommer 2015 Stipendiatin am Literarischen Colloquium Berlin. 

Die Regisseurin Claudia Bauer ist seit der Spielzeit 2015/16 Hausregisseurin am Schauspiel Leipzig und hat in der Diskothek mit den Uraufführungen von Wolfram Hölls „Und dann“ (eingeladen zu den Mülheimer Theatertagen — Stücke 2014, zu den Autorentheatertagen am Deutschen Theater Berlin und zum Heidelberger Stückemarkt) und Bernhard Studlars „Die Ermüdeten“ deutschlandweit von sich reden gemacht. Auf „Metropolis“ folgte mit „89/90“ ihre zweite Inszenierung auf der Großen Bühne, die zum Berliner Theatertreffen 2017 eingeladen wurde.

//Pressestimmen

„Radikal körpersprachlich. [...] Bei aller comichaften Überzeichnung durch die Körperkostüme dringt ein Rest Menschlichkeit aus den Figuren hervor. Das liegt vor allem am ergreifenden Spiel, das die existenzialistische Ebene sehr expressiv überträgt. Dessen Wirkung wird durch die Nähe zum Publikum unterstützt. Oft sind es nur die Blicke, das Augenspiel der Darstellenden, aus denen ein Funke Humanes überspringt und um Humanität fleht.nachtkritik.de

„Diese Mischung zwischen Brunner auf der Autorenseite mit dieser Analyse des Zustands des Alterns und gen Tod driften und gleichzeitig die Verpackungsstrategien von Claudia Bauer und ihrem Bühnenbildner Andreas Auerbach, die funktionieren in Leipzig ganz fabelhaft. [...] Ein Abend, der sich sehr lohnt. MDR Kultur

„Eine grobe, harte und auch sehr verzweifelte Puppenspielkonstellation über den Verlust der Selbstbestimmung im Alter. Deutschlandradio Kultur

„Sprachgewaltig ist der Text, voll von Metaphern, die das Unsagbare, das unausweichliche Gefühl des Alterns in eine literarische Form zu bringen versuchen. KULTURA EXTRA

„Ohne Effekthascherei, gut austariert zwischen Realismus und Abstraktion. [...] Durchweg überzeugend und angemessen minimalistisch gespielt von Andreas Dyszewski, Timo Fakhravar, Sophie Hottinger, Julia Preuß, Katharina Schmidt und Florian Steffens. LVZ

„Manchmal humorvoll überzeichnend, dann wieder berührend nah an der Realität. […] Eine wunderbare Produktion. mephisto 97.6

„Regie und Ensemble schaffen es, aus dieser schrägen Horrorshow herumgeisternder, latent ekliger Alter immer wieder liebenswerte Zerbrechlichkeit und trutzigen Lebenswillen hervorleuchten zu lassen.reihesiebenmitte

„In der kleinen, für die Entdeckung zeitgenössischer Texte namhaft gewordenen Spielstätte "Diskothek" des Schauspiels Leipzig lässt Regisseurin Claudia Bauer ein energetisches Sextett auftreten. [...] Mit kraftvoll grotesken Bildern arbeitet Bauer gegen den latent stagnierenden, weil sich ausgiebig in gängigen Verfallsansichten suhlenden Text an. Theater heute

Premiere: 17. März 2017
Spieldauer ca. 1:40, keine Pause